„Noch immer aufrecht“ – Zum 30. Jahrestag der Revolution in Burkina Faso

AfricAvenir International hat sich seit 2012 schwerpunktmäßig mit Thomas Sankara, Präsident des westafrikanischen Staates Burkina Faso von 1983 bis 1987, auseinander gesetzt. Am 4. August 2013 jährt sich die Revolution, die unter Sankara die internationale Gemeinschaft in Staunen versetzt hat, zum 30. Mal. AfricAvenir möchte dieses Jubiläum zum Anlass nehmen, über Vergangenheit und Gegenwart zu reflektieren. Was geschah, was ist verloren und was bleibt von der Revolution in Burkina Faso? nEine der letzten sozialistischen Revolutionen in Ländern der so genannten „Dritten Welt“ feiert dieser Tage ihren 30. Geburtstag: Am 4. August 1983 übernehmen vier junge Militärs unter der Führung des 33jährigen Hauptmanns Thomas Sankara, unterstützt von großen Teilen der Bevölkerung, die Macht in der Hauptstadt Ouagadougou im westafrikanischen Obervolta. In den darauffolgenden vier Jahren entspinnt sich eine Revolution, während der das bis dahin politisch unbedeutende, naturgeographisch benachteiligte und zutiefst in politische Abhängigkeiten verstrickte Land es mit den ganz Großen auf der politischen Weltbühne aufnimmt. Die neue Führung sagt dem westlichen Imperialismus und Neokolonialismus in aller Deutlichkeit den Kampf an und stellt sich seinen vielfältigen institutionellen, strukturellen und gesellschaftlichen Problemen: Korruption, Machtmissbrauch, Unterdrückung der Frau, Ungleichverteilung der Ressourcen, Bildungsmisere, Zerstörung der Umwelt, katastrophale Ernährungslage, malades Gesundheitssystem, um nur einige zu nennen, werden mit Weitsicht, Mut und Entschlossenheit angegangen. Bereits ein Jahr nach der Machtübernahme wird der koloniale Name „Haute Volta“ (Obervolta) durch den aus den Landessprachen Mooré und Dioula synthetisierten Begriff „Burkina Faso“ (Land der aufrechten Menschen) ersetzt. nIm Folgenden erzielt die RDP (Révolution Démocratique et Populaire, demokratische Volksrevolution), angeführt von Thomas Sankara und unterstützt von den CDP (Comités de la Défense de la Révolution, Komitees zur Verteidigung der Revolution), in kürzester Zeit Erfolge, die die internationale Gemeinschaft nie für möglich gehalten hätte. Staunend beobachtet die Welt, wie der junge, charismatische Präsident als begnadeter Redner seine Überzeugungen mit Selbstbewusstsein, Intelligenz und Ironie in internationalen Konferenzen und Meetings Ausdruck verleiht und dabei nicht einmal vor Mitterrand Halt macht. Die Burkinabè bauen mit bloßen Händen eine über 100 km lange Eisenbahnstrecke, das zuvor von enormen Lebensmittelimporten abhängige Land kann sich binnen zwei Jahren selbst ernähren, allerorten entstehen barrages (Regenrückhaltebecken), das Vorrücken der Sahara wird mit einem Grüngürtel gestoppt, und die Wirtschaftsbilanz bietet nicht den kleinsten Angriffspunkt für Kritik. Ein Traum?nBei aller Großartigkeit des Vorhabens, welches häufig auch als Experiment bezeichnet wird, verschaffen sich Sankara und seine Gefolgsleute nicht nur Freunde. Innen- wie außenpolitisch bewegt sich die Revolution auf zunehmend dünnem Eis, und am 15. Oktober 1987 wird dem Traum von echter Unabhängigkeit, Gerechtigkeit und Wohlstand mit der Ermordung des Präsidenten und einiger seiner Getreuen ein jähes Ende bereitet. Als Drahtzieher des internationalen Komplotts, das viele AfrikanerInnen als das Ende jeglicher Hoffnung für Afrika bezeichnen, gilt Blaise Compaoré, der, mutmaßlich von Frankreich, der Elfenbeinküste und Schwerverbrechern wie Charles Taylor unterstützt, seinen langjährigen Gefährten und engen Freund mit der Begründung aus dem Weg räumt, jener hätte die Revolution verraten und seine Ermordung geplant. Seit diesem 15. Oktober 1987 hat Burkina Faso einen neuen Präsidenten: Blaise Compaoré höchstselbst. nWas bleibt? Burkina Faso belegt in schöner Regelmäßigkeit einen traurigen Spitzenplatz als eines der 10 ärmsten Länder der Welt; 2012 hatten nur sechs  Staaten einen niedrigeren HDI (Human Development Index). Die Lebensbedingungen der Burkinabè sind katastrophal, es wird gehungert, gestorben und geweint. Vor allem die Jugend Burkina Fasos hat kaum Perspektiven; glücklich sind jene, die es nach Europa schaffen und sich dort mit Gelegenheitsjobs über Wasser halten können. Und lange Zeit war es sehr still in und um Burkina Faso, die politische Teilhabe kaum sichtbar, fast als litte ein ganzes Volk unter einer Art von Lähmung. nAber: Thomas Sankara hat einmal gesagt: „Tötet mich heute, und es wird morgen 1.000 Sankaras geben“. Und tatsächlich: in den vergangenen Wochen sind zigtausende Burkinabè auf die Straßen gegangen und haben demonstriert, dass es ihnen reicht, dass sie es satt haben, zu hungern, während andere sich die Bäuche vollschlagen. Anlass der Bewegung ist die Planung eines Senats, welcher kaum verhohlen eine weitere Aufstellung von Compaoré in den Präsidentschaftswahlen 2015 durchsetzen soll. Dies ist der sprichwörtliche Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt; es geht bei Weitem nicht nur um diesen Senat. Es geht um Entmündigung, Perspektivlosigkeit, Misere, Machtmissbrauch, Nepotismus, Betrug am Volk. Es geht also momentan um sehr viel in Burkina Faso, und die große Überzahl der Burkinabè hat außer dem nackten Leben nicht viel zu verlieren.nDas Regime Compaoré rasselt nunmehr mit den Säbeln. Am Abend des 31. Juli 2013 wird den Studenten verkündet, dass sie am nächsten Tag die Studentenwohnheime für zwei Monate zu räumen hätten, auch die Mensen schlössen bis Ende September, die Begründung sind universitäre Ferien. Tausende Studenten sitzen nun auf der Straße und schlafen unter freiem Himmel; Sympathisanten bringen Reis und helfen, wo sie können. Ein Student soll bei Auseinandersetzungen mit der Polizei ums Leben gekommen sein.  nDer wahre Hintergrund dieser Schließungen ist unklar. Klar ist aber, dass die Studenten einen Großteil der Demonstranten der vergangenen Wochen stellen. nDas Ende der Auseinandersetzungen ist offen, und es bleibt zu hoffen, dass die Regierung einlenkt und endlich anfängt, ihrem Volk zu dienen. Der Geist Sankaras ist so lebendig wie schon lange nicht, die aufrechten Menschen von Burkina Faso erobern sich ihren Namen zurück, und zum 30. Geburtstag der Revolution möchten wir herzlich gratulieren und stellen zum wiederholten Male fest:n„Man kann keine Ideen töten, die Ideen sterben nicht.“ (Thomas Sankara)n|+| Facebook Seite "Thomas Sankara lebt"

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