taz Rezension: “Scheitern und aufstehen” (Das politische Buch)

Der Aufstand der Jugend Nordafrikas zieht den Blick der Welt auf sich. Ein Sammelband gewährt Einblicke ins (post-)koloniale Afrika. taz-Rezension von NINA MARIE BUST-BARTELS vom 13.03.2011.

Während derzeit die Menschen im Norden Afrikas für ökonomische und soziale Teilhabe protestieren, kämpften im 20. Jahrhundert die Gesellschaften des Kontinents vehement für eine Befreiung vom europäischen Kolonialismus. In 17 Staaten jährten sich 2010 die formalen Unabhängigkeiten zum 50. Mal – Anlass für den Verein AfricAvenir International in einem Sammelband Bilanz ziehen zu lassen.

Der Band liefert eine Innenperspektive dieser Gesellschaften – jenseits der Darstellungen Afrikas in den Westmedien, als gescheiterter Kontinent, zerrüttet von Hunger und Krieg. "Wir akzeptieren zu schnell, dass wir rückständig seien", sagt Eboussi Boulaga. Der kamerunische Philosoph fordert eine "gegenseitige ,Dekolonialisierung’ unseres Denkens". Die AutorInnen schieben aber keineswegs jegliche Schuld dem Kolonialismus zu und vermeiden so ein Verharren im Opferstatus. Vielmehr zeigen sie sich als wirkmächtige und selbstbewusste AkteurInnen. "Wir werden uns erheben", prophezeit Micere Mugo, Literaturprofessorin aus Kenia, zum "Widerstand gegen neokoloniale Diktatoren".

Die AutorInnen diskutieren zudem Perspektiven sozialer Revolutionen. "In den meisten Fällen sind die Afrikaner/innen noch immer nicht in der Lage, ihr Führungspersonal frei zu wählen", beklagt Achille Mbembe, einer der bedeutendsten Postkolonialismus-Theoretiker. Während Mbembe innerafrikanische Zustände thematisiert, setzt Kum’a Ndumbe, Politikprofessor aus Kamerun einen globalpolitischen Rahmen. Er zeigt anhand neokolonialer Strukturen das "andauernde Scheitern der afrikanischen Unabhängigkeiten".

Neben Fachtexten ermöglichen historische Reden, Gedichte, Songtexte und Bildserien einen Zugang zum Thema. Der Band bricht mit seinem bunten Layout bewusst mit der westlichen Ästhetik des sterilen Schwarz-Weiß-Drucks.

Gerade im Hinblick auf die aktuellen Entwicklungen in Nordafrika sind die Beiträge interessant. Vor den Revolutionen geschrieben, wird hier ein innerafrikanischer Diskurs den deutschsprachigen LeserInnen erstmalig zugänglich gemacht. Bis zu 50 Prozent der afrikanischen Gesellschaften bestehen aus Menschen unter dreißig. Obwohl formal unabhängig, werden sie weiter für Selbstbestimmung kämpfen.

NINA MARIE BUST-BARTELSnAfricAvenir International (Hg.): "50 Jahre afrikanische Un-Abhängigkeiten. Eine (selbst-)kritische Bilanz". Editions AfricAvenir/Exchange & Dialogue, Berlin 2010, 264 Seiten, 19 Euron|+| taz Archiv

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