Kamerun: Es geht nicht nur um Kunst (Artikel und Audio)
Kolonialgeschichte Kamerun: Es geht nicht nur um Kunst
Von 1884 bis zum Ende des Ersten Weltkriegs war Kamerun deutsche Kolonie. Bis heute lagern hierzulande viele Kunstgegenstände – aber auch historische Dokumente, die den Kamerunern helfen könnten, ihre Geschichte zu verstehen. Die Rufe nach Rückgabe werden lauter.
In den Räumen der Stiftung AfricAvenir in der kamerunischen Wirtschaftsmetropole Douala ist der Verlust stets präsent. Vorn im Konferenzraum steht eine längliche bunt angemalte Skulptur aus Gips – es ist eine Art Galionsfigur, Tange genannt, die den Schiffsbug eines kamerunischen Königs zierte. Stiftungsmitarbeiter Philémon Moubeke A Mboussi erläutert:
„Es handelt sich um das Tange von Lock Priso, dem König der Bele Bele. Das hier ist eine Rekonstruktion – das Original befindet sich noch in Deutschland, denn es wurde von Max Buchner, Vertreter des deutschen Kaiserreichs in Kamerun, im Jahr 1884 mitgenommen, nach dem Krieg zwischen dem Volk der Bonaberi und der deutschen Kolonialregierung. Das Tange wird seit fast 24 Jahren von Prinz Kum‘a Ndumbe zurückgefordert.“
Der Prinz Kum‘a Ndumbe III. ist nicht nur Enkel des Königs Lock Priso. Er hat als Politikwissenschaftler lange Jahre in Deutschland an der Freien Universität in Berlin gelehrt und die Stiftung AfricAvenir gegründet. Mit ihr befördert er unter anderem die Diskussion um die Rückgabe von geraubten Kulturgütern – vor allem fordert er die Rückkehr des Tange seines Großvaters, das im Münchner Museum „Fünf Kontinente“ hängt.
Viele kamerunische Kulturschätze in Deutschland
Der von der französischen Regierung 2018 in Auftrag gegebene Bericht von Felwine Sarr und Bénédicte Savoy hat auch in Kamerun eine neue Dynamik bewirkt, berichtet Marie Joseph Ekobena Atemengue von AfricAvenir. Die Stiftung habe nicht nur die beiden Wissenschaftler Sarr und Savoy nach Douala eingeladen, um dort ihre Ergebnisse zur Rückgabe von Kulturgütern zu präsentieren:
„Am 28. August letzten Jahres haben wir eine große Diskussion mit allen traditionellen Häuptlingen aus ganz Kamerun organisiert, um eine gemeinsame Haltung zu finden. Denn ein wiederkehrendes Argument ist: ‚Eure Forderungen sind disparat, einer fordert dies, ein anderer etwas völlig anderes.‘ Das schafft Probleme. Es geht uns darum, die verschiedenen Forderungen zu vereinheitlichen und zu schauen, wie wir vorgehen können, um das Problem zu lösen.“
80 Prozent der vermissten Kulturschätze befänden sich in Deutschland, schätzt Ekobena Atemengue – manches sei auch in Frankreich und Großbritannien zu finden; nach dem Ersten Weltkrieg hatten die beiden Länder die frühere deutsche Kolonie unter sich aufgeteilt. Aber längst nicht alle Menschen in Kamerun würden den Ruf nach Rückgabe der unrechtmäßig angeeigneten Objekte unterstützen, erklärt Ekobena Atemengue:
„Wir haben hier zwei entgegengesetzte Meinungen. Die Mehrheit sagt: Die ursprüngliche Funktion des Gegenstands ist rituell. Es ist ein Objekt, das beseelt ist, mit einer Energie aufgeladen. Es im Ausland zu behalten, bedeutet, den afrikanischen Kontinent seiner ursprünglichen Energie zu berauben. Aber es gibt auch diese zweite Tendenz, die im westlichen Paradigma verhaftet ist. Da geht man vom neutralen Objekt aus und sagt: Wenn man den Gegenstand schon bewahren muss, umso besser, wenn er im Westen ist, denn dort sind die Museen schön, sauber usw.“
Fabiola Ecot Ayissi ist Kuratorin des Cipca, einer kleinen Galerie in der kamerunischen Hauptstadt Yaoundé, die sich die Bewahrung des kulturellen Erbes zur Aufgabe gemacht hat. Sie sieht das immer wiederkehrende Argument, die Kulturgüter könnten in Europa besser konserviert werden, sehr kritisch:
„Diese Logik verbindet sich unvermeidlich mit der reflexhaften Infantilisierung von Afrikanern. Man will ihnen immer die Verantwortung abnehmen und sagt, sie hätten nicht die gleichen technischen Kenntnisse. Weil sie beherrscht wurden und sich noch von einer auch geistig zerstörerischen Kolonialzeit erholen, könne man ihnen nicht vertrauen. Aber der Beweis, dass man ihnen vertrauen kann, sind die Objekte aus dem 19. Jahrhundert hier in dieser bescheidenen Galerie.“
Auch historische Quellen fehlen
Selbst wenn nicht alle Masken, Statuen und Throne perfekt erhalten seien, so gebe es mittlerweile auch in Kamerun Ausbildungen zur Konservierung des kulturellen Erbes, sagt Ecot Ayissi; hier sei in Zukunft sicher viel machbar.
Doch die Diskussionen in Kamerun drehen sich längst nicht nur um die richtige Lagerung oder die wahre Bedeutung von Kultobjekten und Kunstgegenständen. Es fehle auch an historischen Quellen, die – genau wie die Kunstgegenstände – meist in Deutschland aufbewahrt werden, bemängelt der Fotograf Lawrence Chi Nyamngoh:
„Wir haben so wenig im Vergleich zu dem, was wir haben sollten über die Zusammenarbeit und die deutsche Kolonialzeit in Kamerun. Das meiste kommt von der katholischen Kirche, aber sonst haben wir wenig Material. Ich hielte es für begrüßenswert, wenn das Kulturministerium entweder einen Transfer erreichen oder Kopien erhalten könnte, um unser Nationalarchiv zu bestücken – denn viele unserer Studierenden haben Probleme, wenn sie über die Geschichte Kameruns unter deutscher Verwaltung forschen wollen.“