taz-Artikel: „Arabisches Revolutionskino – Die Tür des Todes öffnet sich“ von Hassouna Mansouri
In einem Film des tunesischen Regisseurs Nouri Bouzid nahm sich ein Mann das Leben. Ein ähnlicher Selbstmord löste die Aufstände aus. Gab es ein Kino der Revolution? VON HASSOUNA MANSOURI, erschienen in der |+| taz vom 17.3.2011.nEine Revolution, die Nordafrika erschütterte, hat die Welt zu Beginn des Jahres 2011 aufgeweckt. Am Anfang war es Tunesien, es folgte Ägypten. Andere Länder der Region, die man "arabische Welt" nennt, sind am Kochen. Niemand hätte vermutet, dass eine derartige Volkserhebung, die so tief greifende Veränderungen fordert, eines Tages in diesen Gesellschaften stattfinden würde.
In dem Szenario der Überraschung kommt einem Bild eine besondere Rolle ist, es hat einen verstärkenden Effekt für die Ereignisse. Niemand sprach von einer Facebook-Revolution und einer Revolution der sozialen Netzwerke. Doch Letztere haben in der Tat eine Schlüsselrolle gespielt, indem sie es ermöglicht haben, Bilder von der Realität zu übermitteln. So war die Welt wohl weniger von den Ereignissen an sich geschockt als vielmehr von der Tatsache, diese Gesellschaften in voller Aktion zu sehen.
Wenn es also Bilder gibt, die der Revolution geholfen haben, so gibt es andere, die sie vorbereitet haben. Seit einigen Jahren schon gibt es um die sozialen Netzwerke herum ein Tauziehen zwischen der Internetpolizei, die versuchte, die Verbreitung von Bildern im Netz zu verhindern, und jungen Hackern, die zu einer Kraft der Reaktion und des Cyberwiderstands geworden sind.
Das heißt: Bilder sind seit Langem das Zentrum eines jeden Machtkampfes. Und während die Schlacht der sozialen Netzwerke während der Aufstände so mediatisiert war, weil sie eine sehr sichtbare Ebene des Aktionismus betrifft, so fand schon länger eine andere Schlacht statt – auf einer tieferen, indirekteren und subtileren Ebene.
Kampf um Unabhängigkeit
Indem die jungen Leute mit iPhones, Blackberries und verschiedenen Gadgets hantieren, um auf Facebook, Twitter und in anderen virtuellen Räumen zu surfen, vertieften sie damit nur die Arbeit, die die Künstler des Bildes bereits begonnen hatten. Die Netzaktivisiten haben den Filmemachern voraus, mehr und anarchistische Freiräume der Herstellung der Bilder und ihrer Vertreibung nutzen zu können. Für ein Bild, das in einem genauso strukturierten und kontrollierten Rahmen wie demjenigen des Kinos produziert wurde, war das bisher nicht einfach.
In Gesellschaften wie der tunesischen und der ägyptischen ist das Bild mit einem "Embargo belegt". Das gilt sowohl auf der Ebene der Produktion wie auch auf der Ebene der Verteilung und Wahrnehmung. Alles hing von dem politischen Willen ab, der das Land umklammert hielt und alle Kräfte, sich auszudrücken, fesselte.
Doch trotzdem kämpften auch die Kinomacher für ihre Unabhängigkeit und hörten dabei auch immer auf ihre Gesellschaften. Die tunesischen Regisseure Fadhel Jaibi und Nouri Bouzid sind für ihren liberalen Ton, die Kraft ihrer Worte und die Beherrschung der Werkzeuge des kinematografischen Schaffens bekannt. Der Start ihrer Filme wird oft von Polemik bzw. einem Schlagabtausch mit den offiziellen Kontrollinstanzen und ihrer Zensur begleitet.
Der Film "Junun" (von 2001) von Jaibi ist eine Röntgenaufnahme der tunesischen Gesellschaft am Beispiel eines jungen Mannes, der in der Psychiatrie sitzt. Nun, ein junger Analphabet, lehnt sich gegen alles auf, was eine "Kastrationsmacht" repräsentiert. Der Film stellt die Dysfunktionalität einer Gesellschaft in den Mittelpunkt, die am Abgrund taumelt.
"Khamsoun" (2007) zeichnet die Geschichte Tunesiens während der 50-jährigen Unabhängigkeit des Landes nach. Hier liegt der Akzent vor allem auf dem Gewicht, das die Religion bei der Evolution der Gesellschaft hat. Es bedurfte der Mobilisierung der Zivilgesellschaft und eines harten Kampfes mit den Behörden, damit das Werk endlich gezeigt werden konnte – ungeachtet der Zensur, die das Kulturministerium verhängt hatte.
Was Nouri Bouzid betrifft, so hat er von seinem ersten Spielfilm "LHomme de cendre" (1985) an zu einer weitaus realistischeren Ausrichtung des tunesischen Kinos beigetragen. Das heißt: eine tiefgründige Arbeit über Tabus, Blockaden der Gesellschaft sowie all das, was deren Entwicklung und Fortschritt behindert. Sein jüngster Film "Making of Kamikaze" ist eine Analyse der Sackgasse, mit der die jungen Tunesier konfrontiert sind.
Die Hauptperson (Bahta) nimmt den jungen Mohamed Bouazizi vorweg. Dieser opfert sich am 17. Dezember 2010 und gibt damit den Anstoß für den revolutionären Prozess, der noch immer in Tunesien und anderen Ländern der Region im Gange ist. Beide sind 26 Jahre alt, arbeitslos, und beide haben unter der Beleidigung durch alle Symbole der Macht gelitten. In ihrem Ringen um ein würdiges Leben stoßen sie auf eine taube Macht und sind dazu verurteilt, mit einer ultimativen Geste über ihren eigenen Tod zu entscheiden.
Eine Prophezeiung?
Dieser Film wird jetzt als eine Prophezeiung der Ereignisse im Januar 2011 gesehen, obgleich er schon vier Jahre alt ist. Man könnte fast denken, der Filmemacher sei auf den Spuren dieser Jugend gewesen, die auf der Suche nach sich selbst war. Bahta ist unfähig, sich in seinem Milieu zu entfalten. Alle Türen werden ihm vor der Nase zugeschlagen, nur die des Todes öffnet sich vor ihm über die Bruderschaft der Islamisten. Der Film zeigt verschiedene Elemente, die zu dem Druck, der auf die Jugend ausgeübt wird, beitragen, bis hin zum Ersticken, das zu den Ereignissen im Dezember und Januar führen wird.
Um dasselbe Ersticken geht es in bestimmten ägyptischen Filmen wie "Ain Chams" (2009) und "Hawi" (2011) von Ibrahim El Batout; "Héliopolis" (2009) und "Microphone" (2010) von Ahmad Abdalla und "Basra" (2008) von Ahmad Rashwan. Diese Namen wird man sich merken müssen, wenn es um das junge ägyptische Kino geht. Das ist eine junge Generation, die eine tiefgründige Arbeit geleistet und die die zunehmend sklerotische Filmindustrie überholt hat. Eine neue Sensibilität setzt sich gegen das System einer traditionellen Produktion durch: sie sind um die 40 Jahre alt und sie machen ihre ersten Spielfilme. Sie alle kommen vom Dokumentarfilm, oft auch aus der Filmkritik wie Ahmad Rashwan.
Außerhalb dieser organisierten Produktionskreise scheint diese Generation ihre eigene Stimme zu suchen, und das mit eigenen Mitteln, das heißt ohne große Etats: Armut spielt spielt keine geringe Rolle in diesem Kinotyp. "Hawi" von Brahim El Batoutist ist ein Beispiel: Mit einem geringen Budget gedreht, mit Bildern nahe am Dokumentarischen entfaltet er einen realistischen Atem und eine klare Orientierung auf eine Jugend, die zu ersticken droht und mit den Widrigkeiten des Alltags kämpft.
Der Film ist auf zwei Ebenen konstruiert, entsprechend zwei Generationen. Nach jahrelangem Exil in Frankreich kehrt Brahim nach Ägypten zurück. Joussef ist aus der Haft entlassen worden mit dem Auftrag, vertrauliche Unterlagen zu sammeln, die vor allem die Geheimdienste zu interessieren scheinen. Die beiden Männer gehörten einer Gruppe militanter Kämpfer an, waren festgenommen und inhaftiert worden.
Die zweite Generation betrifft die Kinder der beiden Männer. Zwei junge Mädchen sind zu einem Leben ohne Eltern verdammt. Eine Art Waisenhaus, El Batout, dient als Metapher eines Ägyptens, das nicht für seine Kinder aufkommt. Der Film wird zur Frage nach der Zukunft dieser Generation junger Verlorener.
Dieselbe Atmosphäre herrschte schon 2007 bei Ahmad Raswan. In seinem Film "Basra" geht es um eine Gruppe Jugendlicher, die mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten kämpfen, selbst für die kleinste Zerstreuung fehlt ihnen die Freiheit. Ein Fotografen-Ehepaar kann kaum von seiner Kunst leben, ein anderes junges Ehepaar wird plötzlich zum Opfer der Krise des Tourismus – damals ausgelöst durch den Golfkrieg. Gerade als sie an ein gemeinsames Leben denken, verlieren sie ihre Arbeitsplätze. Der dritte Fall ist der eines jungen Filmemachers. Er ist gezwungen, auf seine Kunst zu verzichten und in der Werbeindustrie zu arbeiten, was ihn letztlich zerstört.
Eine Jugend in Aufruhr
"Microphone" (|+| in Berlin zu sehen am 16.5.2011 im Hackesche Höfe Kino)von dem jungen Regisseur Ahmad Abdalla porträtiert ebenfalls junge Leute. Khaled ist nach Alexandria zurückgekehrt in eine Szene, in der einige einen Film machen, andere ein Hip-Hop-Konzert und wieder andere Mauern mit Plakaten und Graffitis schmücken. Unter dem Eindruck realer Ereignisse zeichnet der Film ein Bild einer Jugend in Aufruhr, die kurz davor ist zu explodieren. Entstanden 2010, feierte er seinen ersten Erfolg in Tunis, wo er im Oktober 2010 den großen Preis des Filmfestivals von Karthago erhielt.
Die Wut, das Gewicht der Frustration und der starke Wille, die Sprache an sich zu reißen, sind sehr stark und tief in der Realität einer Gesellschaft verankert, die am Ende explodiert. Die Bilder, die die Medien ohne Unterlass über diese ausbrechende Gesellschaft übermitteln, sind lediglich die Lava dieses Vulkans, dem schon diese Kinomacher ihre Aufmerksamkeit gewidmet haben – auch ihre Filme haben nur das Echo seines Grummelns übermittelt.
Doch ob es sich nun um Filme oder kleine Videos im Internet handelt – das allein macht noch keine Revolution. Die wahre Revolution hat in den Straßen von Tunis und auf dem Tahrir-Platz in Kairo stattgefunden. Die Bilder haben dazu beigetragen, das Bewusstsein zu nähren, es aufzuwecken und ihm zu erlauben, an etwas zu glauben. Um den Rest hat sich die Straße gekümmert.
Aus dem Französischen von Barbara Oertel